Ulf Poschardt:

Geschmacksbürgertum

IMD 321
120 Seiten.
ISBN: 978-3-88396-257-3
Buch: ist vergriffen

Die Zeit des Bildungsbürgers geht zu Ende. Bildung wird durch Geschmack ersetzt. Dabei kommt Geschmack ohne die Bildung der Nerven nicht aus – und ist doch ein Element einer zeitgenössischen Vernunftkritik, die den Sinnen vertraut wo der Verstand unzurechnungsfähig erscheint. Der Ratlosigkeit der Welt gegenüber erwuchs die Sicherheit im Geschmacksurteil, auch wenn es jeden Tag anders lautete. Nietzsches Gedanke der radikalen Individualisierung durch Geschmack legt eine Spur in die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts.
„Vieles nicht sehn, nicht hören, nicht an sich herankommen lassen – erste Klugheit, erster Beweis dafür, daß man kein Zufall, sondern eine Necessität
ist. Das gangbare Wort für diesen Selbstvertheidigungs-Instinkt ist Geschmack.
Sein Imperativ befiehlt nicht nur Nein zu sagen, wo das Ja eine „Selbstlosigkeit“ sein würde, sondern auch so wenig als möglich Nein zu sagen. Sich trennen, sich abscheiden von dem, wo immer und immer wieder das Nein nöthig werden würde.“ [Friedrich Nietzsche, Ecce Homo. Wie man wird, was man ist, Leipzig o.J. (1908)]
Ulf Poschardt, Journalist und Autor, zuletzt Chefredakteur der deutschen Vanity Fair, ist stellvertretender Chefredakteur der Welt am Sonntag.